Wenn man „Lost Places“ als faszinierend bezeichnen kann, so sind unvollendete Bauwerke geradezu melancholisch. Sie sind verkörperlichte Erinnerungen von allem, was hätte sein können und nie war – an Pläne und Hoffnungen, die nie verwirklicht wurden. Auch in Deutschland gibt es eine vielfältige Sammlung von solchen Bauprojekten, die sich vielleicht als zu ehrgeizig erwiesen haben. Hier ist unsere Auswahl der 5 beeindruckendsten, noch erhaltenen Bauwerke, die nie fertiggestellt wurden.
1. Kernkraftwerk Stendal
Was als eines der größten Kernkraftwerke in Deutschland geplant war, entpuppte sich als eines der teuersten gescheiterten Projekte. Der Bau des Kernkraftwerks Stendal wurde in den 1980er-Jahren von der Regierung der DDR in der Nähe von Magdeburg in Auftrag gegeben. Mit einer elektrischen Gesamtleistung von rund 4000 Megawatt sollte es das Wichtigste in ganz Ostdeutschland werden.
Der Bau war jedoch mit Problemen und überhöhten Kosten behaftet, und bis 1989 waren die Investitionen auf 20 Milliarden DDR-Mark (etwa 2,5 Milliarden Euro) in die Höhe geschnellt. Außerdem erwiesen sich die Sicherheitssysteme nach der Wiedervereinigung im Vergleich zu denen westlicher Kernkraftwerke als unzureichend. Zusammen mit der fehlenden Geschäfts- und Finanzierungsgrundlage wurde 1991 der Baustopp beschlossen.
2. U-Bahn Linie 10 in Berlin
Bereits als es 1902 eingeweiht wurde, war das Berliner U-Bahn-Netz eines der größten Europas. Zwanzig Jahre später gab es Pläne, es noch weiter auszubauen. Ingenieure entwarfen eine U-Bahn-Linie, die von Lichterfelde quer durch die ganze Stadt (über Steglitz, Potsdamer Platz und Alexanderplatz) bis nach Weißensee führen sollte.
Dennoch stieß die ehrgeizigste U-Bahn-Verbindung der Hauptstadt auf eine Reihe von unüberwindbaren Hindernissen. Der Krieg, die nachträgliche Teilung der Stadt und schließlich die Mittel, die in den Bau der S-Bahn flossen, behinderten das Projekt erheblich. So blieben nach jahrzehntelanger Planung nur eine halb fertige Station am Innsbrucker Platz sowie Tunnels in der Schlossstraße und im Rathaus Steglitz übrig.
3. Bertzit-Turm
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erlebte der Braunkohlenbergbau im Süden Brandenburgs einen Boom. Dort befand sich u. a. die Tiefbraunkohlengrube Ada. In den 1920er-Jahren beschloss die Betreibergesellschaft der Grube, eine Raffinerie für die geförderte Braunkohle zu bauen. Zu diesem Zweck wurde neben der Fabrik ein 35 Meter hoher Turm errichtet. Mithilfe einer damals neuen Technologie sollte er zur Trocknung der Kohle beitragen.
Warum der Bau des Turms und der gesamten Anlage nie vollendet wurde, bleibt ein Rätsel. Dennoch behaupten einige Historiker, dass die zugrunde liegende Technologie nicht wie erwartet funktionierte. Auf jeden Fall ist der Turm heute eine weithin sichtbare Landmarke in der Niederung der Schwarzen Elster.
4. KdF-Seebad Rügen
Das auch als „Koloss von Prora“ bezeichnete Seebad auf der Ostseeinsel Rügen ist ein anschauliches Beispiel für die monumentale und absurde Architektur des Faschismus – und für seine Vorstellung von Ruhe und Erholung. Es wurde von der nationalsozialistischen Freizeitorganisation Kraft durch Freude (KdF) als Ferienanlage für bis zu 20.000 Menschen geplant und bestand aus acht aneinandergereihten identischen Blöcken mit einer Länge von 4,5 Kilometern. Das klingt umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, dass Rügen an seiner längsten Stelle einen Durchmesser von nur 52 Kilometern hat.
Die Bauarbeiten begannen 1936, doch der Beginn des Zweiten Weltkriegs verhinderte die Fertigstellung. Nach dem Konflikt wurde ein Teil davon zerstört, der Rest wurde als gigantischer Kasernenkomplex für die DDR-Armee genutzt. Seit der Wiedervereinigung wurden die verbleibenden Blöcke verkauft und wieder ihrem ursprünglichen Zweck zugeführt – allerdings getrennt.
5. Strategischer Bahndamm
Nach mehr als hundert Jahren industrieller Revolution erwies sich die Eisenbahn als revolutionäre und grundlegende Infrastruktur für die Wirtschaft eines Landes – und auch für das Militär. So war es nicht verwunderlich, dass mit der Eskalation der Spannungen zwischen den europäischen Mächten zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine der vielen Eisenbahnlinien, die in Deutschland zu strategischen Zwecken gebaut wurden, der Strategische Bahndamm war. Die auch als Ruhr-Mosel-Entlastungsstrecke bekannte Strecke sollte das Ruhrgebiet mit dem Saarland und Lothringen verbinden, um Engpässe in Köln und Düsseldorf zu vermeiden.
Ironischerweise ging die Zeit für diese Bahnlinie zu schnell: Obwohl mit dem Bau 1904 begonnen wurde, war sie bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs von Weitem nicht fertig. Schließlich entpuppte sie sich als völlig unbrauchbar, als einer der Kriegsgewinner – Frankreich – 1924 ihren Bau stoppte. Dennoch wurden in manchen Regionen Abschnitte der Strecke sowie Straßenüberführungen und Eisenbahntunnel fertiggestellt. In anderen waren es nur einzelne Bahnhofsgebäude oder sogar die Pfeiler von Viadukten.